Als die Dominikanerinnen von Bethanien vor 60 Jahren ihre Kinderdorfarbeit nach Deutschland brachten, fingen sie in Waldniel (heute Schwalmtal) an. Sr. Helene Ramacher und Sr. Veronika Stettner erzählen von den ersten Jahren.
Sr. Barbara: Sr. Helene, Du bist eine Gruppenschwester der ersten Stunde. 1956 hat es mit Dir im Sonnenhaus und Sr. Gaudete im Sternenhaus angefangen.
Sr. Helene: Eigentlich sollten die Kinder am Donnerstag kommen, aber dann standen sie plötzlich am Montag vor der Tür, das war der sechste August. Wir waren noch gar nicht ganz fertig in den Häusern. Die erste Zeit war schon ein arger Behelf. Zuerst waren nur zwei Häuser fertig; das Tannenhaus kam auch noch 1956, das Ährenhaus 1957. Das Wiesenhaus wurde erst später fertig, etwa 1960.
Sr. B.: Um die Zeit hast du auch angefangen, Sr. Veronika, nicht wahr?
Sr. Veronika: (lacht) Ja, 1960 im alten Gartenhaus, aber dann sind wir ins Ährenhaus umgezogen und von da ins Kastanienhaus. Und als Ida das brauchte, sind wir provisorisch in die Lehrküche (heute Verwaltung) und von da ins Roseneck (heute Bucheneck).
Sr. B.: Das klingt, als sei viel in Bewegung gewesen.
Sr. Veronika: Naja, es war die Aufbauphase. Deswegen hatten wir auch nur sehr wenig Geld.

Sr. B.: Wenn alles neu war, gab es trotzdem schon klare Vorgaben, z. B. in der Pädagogik?
Sr. Helene: Ja sicher. Mutter Magdalena hatte gesagt, wir sollten so familienähnlich wie möglich sein – aber wir seien natürlich trotzdem Schwestern. Wir sollten keine Konkurrenz für die Eltern der Kinder werden. Das war sehr fortschrittlich. Aber gleichzeitig kamen wir ja aus den strengen Ordensstrukturen. Die Oberen konnten manchmal nicht verstehen, was es hieß, mit 15 oder sogar 17 Kindern zusammenzuleben. Einmal kam eine Novizin zum Ablösen, damit ich in die Vesper konnte, gerade da fiel einer der Jungs vom Baum. Ich bin mit ihm ins Krankenhaus gefahren – und hinterher hieß es: „Warum waren Sie nicht beim Gebet?“ Ich glaube, unsere Oberen waren manchmal auch überfordert.
Sr. Veronika: Sr. Hermanna hat damals vieles modernisiert und auch zwischen Deutschland und Holland vermittelt. Und was sehr gut war: die Oberen haben immer darauf geachtet, dass wir zu Fortbildungen fahren.
Sr. Helene: (lacht) Sie haben uns allerdings kein Busgeld mitgegeben. Aber wir haben auch nicht daran gedacht zu fragen. Onkel Willi hat uns hingebracht, und keiner hat an die Rückfahrt gedacht.
Sr. Veronika: Kein Mensch hat damals gefragt: „Können Sie kochen? Was kriegen die Kinder morgen zu essen? Haben sie was anzuziehen?“ Da hieß es: „Wir brauchen eigentlich jemand für die neue Geschwistergruppe. Gehen Sie morgen da hin?“ – Und das waren neun! Am nächsten Tag wurde dann keine Frage mehr gestellt.
Sr. B.: Wie habt ihr das geschafft?
Sr. Veronika: Es gab daneben auch sehr viel Schönes, Gemeinschaft … und wenn man dann sah, was aus den Kindern wurde, dann habe ich das nicht so schlimm erlebt.
Sr. Helene: Der liebe Gott hat uns geholfen. Wenn es mir mal richtig schlecht ging und die Obere dann noch sagte, ich soll mich nicht anstellen, dann hatte ich zu Hause die liebsten Kinder.
Sr. B.: Heute werden wir oft gefragt, was denn ein Kinderdorf ist. Was würdet ihr sagen: was ist das Typische an einem Kinderdorf gegenüber anderen Einrichtungen der Jugendhilfe?

Sr. Helene: Schon ganz am Anfang bin ich mal von einem Priester gefragt worden: „wann essen Sie denn?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass wir mit den Kindern zusammen aßen, das war völlig unüblich. Schwestern mussten eigentlich im Schwesternhaus voressen – aber bei uns gab es das nie. Oder dass wir ganz normal unser Zimmer im Haus hatten, oft genug noch ein Babybett drin, dass konnten manche nicht verstehen.
Sr. Veronika: Das war damals alles sehr neu und fremd. Aber wie sollte es denn gehen? (lacht) Bei Gewitter hatte ich mindestens sechs Kinder im Bett!
Sr. B.: Und heute?
Sr. Helene: Die kontinuierlichen Bezugs personen waren in Bethanien immer schon wichtig. Und diese Beziehungen bleiben – wenn die Kinder es wollen – ein Leben lang.
Sr. B.: Danke für das Gespräch.