Geflüchtete in der Jugendhilfe: Unsere Dominikanerinnen von Bethanien erzählen
Seit es die Kinderdörfer gibt, nehmen wir Kinder und Jugendliche auf, die in Not sind. Egal, woher sie kommen und egal, welche Geschichte sie mitbringen. Die Unterbringung von Flüchtlingen war deswegen schon immer ein Thema in den Bethanien Kinderdörfern. Aber nicht nur die #von Kindern und Jugendlichen ein neues Zuhause zu schaffen, spielt dabei eine Rolle, sondern auch die Dominikanerinnen von Bethanien haben ihre ganz eigene Geschichte zum Thema Flucht. Hier erzählen sie.
Flucht aus der DDR – Sr. Heidemaria von den Dominikanerinnen von Bethanien erzählt
Sr. Heidemaria ist 17, als sie mit Mutter und Schwester aus der DDR flieht. Am 13.8.1960, genau ein Jahr vor dem Bau der Berliner Mauer, fahren sie zuerst nach West-Berlin und später weiter nach Köln.
„Wir wollten nicht weg. Aber 1960 verließen jeden Tag Tausende das Land. Es war das Jahr der Zwangskollektivierung der Bauern. Meine Mutter hatte diesen privaten Gasthof, damit galt sie schon als Kapitalistin, und überhaupt waren wir verdächtig: katholisch und alle Verwandten im Westen. In unserem Lokal waren immer StasiSpitzel.
Einmal schimpfte ein Mann an der Theke über Ulbricht – und kam vor Gericht. Meine Mutter hat ausgesagt, sie hätte in dem Lärm nichts verstanden. Er ist trotzdem nach Bautzen gekommen. In der DDR musstest du immer überlegen, wem du was sagst. nur in der Kirche nicht. Auch von unserer Flucht wusste niemand.
Wir sind mit dem Zug nach Berlin und hatten einen Koffer mit Sachen für eine Woche. Die VoPos haben uns rausgeholt, Papiere und Gepäck kontrolliert. Sie haben sich aufgeregt, dass meine Schwester zwei Paar Schuhe dabei hatte. Dann haben sie uns doch fahren lassen. Meine Schwester hat sich bis zu ihrem Tod nicht von diesem Koffer getrennt. […]
Als wir in Köln lebten, waren wir die Piemocken, die Immis. Wir waren die billigen Arbeitskräfte. Die Welt im Westen war uns total fremd, ich hatte fast nur Freunde von drüben. Meine Schwester hat auch einen Mann von drüben geheiratet. […]
1989 kamen Ina und ihre Familie. Wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer sind sie aus der DDR ausgereist. Das Kinderdorf wurde gefragt, ob es eine Flüchtlingsfamilie nehmen könnte, und Sr. Hermanna hat sofort ja gesagt. Wir haben sie aus einer Schule abgeholt, das werde ich nie vergessen. Noch mehr war ich 2015 von der Flucht der Syrer erschüttert. Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte: in ein Land mit fremder Sprache zu flüchten. Ich bin froh, dass wir wieder Flüchtlinge aufgenommen haben.“
Flucht aus Oberschlesien – Sr. Helga von den Dominikanerinnen von Bethanien erzählt
Im Oktober 1945 flieht Helgas Mutter mit den fünf Kindern, zuerst in eine Sammelunterkunft auf Rügen. Nach einem zweiten Lager kommen sie bei Verwandten in der Nähe von Magdeburg unter, dort findet der Vater sie, als er 1949 aus der Gefangenschaft zurückkommt. 1950 gehen sie schließlich nach Wipperfürth. Helga war zu Beginn der Flucht neun Monate alt, der älteste Bruder 14 Jahre.
„In der Schule waren wir die Pollacken, die Piemocks. Die Kinder sagten: „Ihr seht anders aus. Alle Flüchtlinge haben ‘ne dicke Unterlippe.“ Als 2015 die Flüchtlinge kamen, habe ich gespürt: wir müssen was tun. Ich hätte heulen können, dass jemand nicht sofort bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Ich hab erst nicht gewusst: warum geht das so tief? Aber dann war mir klar: Ich bin doch selber eine Betroffene. […]
In Wipperfürth hieß es von uns Flüchtlingen „Die bekommen alles“ – es waren genau die gleichen Sätze wie heute. Die Leute hatten ja selber nichts. 1952 mussten wir dann bauen. Mein Vater hat bis dahin immer noch geglaubt, wir gingen wieder zurück nach Oberschlesien. Mein Bruder hat nur gesagt: „Papa, glaub das doch nicht!“
Alle Flüchtlinge haben am gleichen Ort gebaut, das hat so zusammengeschmiedet. Dann haben meine Schwestern Einheimische geheiratet und da hob sich das auf mit den Piemocks.
Meine Eltern hätten zwar gerne Schwiegersöhne von zu Hause gehabt. Wir waren teilweise schon in Oberschlesien Nachbarn gewesen! Aber für meine Schwestern war das nicht wichtig. Wichtig ist vor allem die Haltung des Menschen. Damals lebten alle im Mangel, aber heute, bei unserem Wohlstand, haben wir verlernt, Anteil zu nehmen. Damals hat die Not die Menschen nicht auseinander- sondern zusammengeführt. Und wenn ich heute die Flüchtlinge sehe, muss ich oft an meine Mutter denken. Sie hat immer wieder gesagt: „Wenn uns unsere Verwandten nicht die Tür aufgemacht hätten, mitten in der Nacht, wo wären wir geblieben?“
Schwester Barbara führte die Gespräche und schrieb diese auf.