Konstant im Wandel: Warum Veränderung Kindern Halt geben kann

In der Jugendhilfe geht der Wandel mit der Veränderung von Konstanten einher – Konstanten, die den Kindern und Jugendlichen Halt und Orientierung geben sollen. Ein Widerspruch? Nein, findet Kinderdorfleiter Thomas Kunz. Im Interview erklärt der Pädagoge warum Wandel notwendig ist – sowohl für die Kinder und Jugendlichen, als auch für die Betreuenden in der Jugendhilfe.

Herr Kunz, die Jugendhilfe hat sich stark geändert, ebenso wie die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen. Was bedeutet dieses stetige Wechselspiel von Veränderung und Konstanz in der Praxis?

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein spannendes Thema. Spannend, weil uns der Bogen zwischen gesetzlichen Regularien und Einzelschicksalen als Pädagogen immer wieder vor die Aufgabe stellt, zu agieren und nicht zu reagieren. Wandel ist im ganzen Leben, also auch in der Jugendhilfe nicht nur unvermeidlich, sondern schlichtweg notwendig.

Wie meinen Sie das?

Da sich die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen stetig weiterentwickeln und viele Außenfaktoren, man denke nur an die Corona-Pandemie, ihr Übriges tun, und Entwicklungen zum Teil immens beschleunigen, müssen auch wir uns entsprechend wappnen, um relevant und effektiv zu bleiben – sowohl in der pädagogischen Betreuung der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen, als auch im administrativen Miteinander mit den zuweisenden Jugendämtern und Netzwerkeinrichtungen.  

Haben Sie ein konkretes Beispiel, das Sie unseren Leserinnen und Lesern skizzieren können?

Ganz klar das Feld der Inobhutnahme. Als ich vor zehn Jahren die Leitung des Bethanien Kinder- und Jugenddorfes übernahm, hatten wir durchschnittlich rund 100 allgemeine Platzanfragen pro Jahr. Nach der Corona-Pandemie 2021 hat sich die Situation vieler Kinder und Jugendlichen in ihren Familien verschlechtert. Seitdem gehen fünf Mal mehr Anfragen bei uns ein – Plätze, die wir bis heute schlichtweg nicht haben. Es gab also dringenden Handlungsbedarf. Daher haben wir speziell für kleine Kinder, die aufgrund einer Krise oder akuten Gefährdungssituation vom Jugendamt in Obhut genommen wurden, zwei neue Gruppen, unsere sogenannten Inobhutnahmegruppen, einrichten können. Mithilfe dieser 12 neu geschaffenen Plätze können wir Soforthilfe für die Kleinsten leisten. So wird ihnen Schutz in einer sicheren Umgebung gegeben – abseits von Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung oder anderen potenziellen Gefährdungen.

Das heißt, Sie haben den gestiegenen Bedarf gesehen und entsprechend reagiert. Wie einfach war das?

Nun ja, jede Änderung im Platzangebot muss selbstverständlich seinen administrativen Gang durch die Behörden gehen. Schlussendlich sind aber, wenn alle Auflagen – also im Wohn- und Betreuungsbereich – erfüllt sind, die monetären Mittel das ausschlaggebende Argument mit dem ein neues Betreuungsangebot mitsamt wohnlicher und vor allem kindgerechter Ausstattung steht oder fällt. Hier sind wir dankbar für die vielfältige Unterstützung, die wir von außen durch Privatpersonen und Sponsoren erhalten – ein Arbeitsfeld, das genauso zu unserem Kinderdorf gehört, wie die Administration einer Verwaltung sowie die pädagogische Erziehungsarbeit in den Gruppen und in unseren Fachdiensten.

Was bedeutet dieses Wachstum für das Kinderdorf und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Die Gründung der beiden Inobhutnahmegruppen ist, bei all den Schicksalen, die eigentlich hinter jeder Inobhutnahme stehen, ein positives Signal für uns – denn wir reagieren mit einer für die Kinder positiven Entwicklung auf den Wandel. Ebenso wie die Kinder profitieren wir als Team von der kontinuierlichen Weiterentwicklung. Damit können wir unsere Methoden und Strategien verbessern, was letztlich zu einer besseren und vor allem zielgenaueren Unterstützung für junge Menschen führt. So wird der Wandel zu einem integralen Bestandteil einer zukunftsorientierten Jugendhilfe, die an der Praxis und nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft lebt.

Das Interview führte Stephanie Anthoni mit Kinderdorfleiter Thomas Kunz. 

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